Gerade fand ich in meinen E-Mails zwei erfreuliche Hinweise. Der erste betrifft eine Diskussion in der Dresdner Frauenkirche am 1. Februar 2018, die der Deutschlandfunk Kultur aufgezeichnet hat und hier nachzuhören ist.
Als Diskutanten treten unter Moderation von Alexandra Gerlach auf:
Daniel Dettling, Zukunftsforscher und Gründer von „re:publik – Institut für Zukunftspolitik“
Jana Ahnert, Architektin und Initiatorin des Projektes „Generationenbahnhof Erlau“
Pfarrerin Katharina Falkenhagen, Evangelische Kirchengemeinde Frankfurt (Oder) – Lebus
Siegfried Deinege, Oberbürgermeister von Görlitz
Benjamin Hoff, Die Linke, Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, Chef der Staatskanzlei des Freistaats Thüringen
Das Stück ist hörenswert, weil es zugleich realistisch und optimistisch Herausforderungen des Ländlichen benennt. Die Debatte ist dicht in der Argumentation und partiell kontrovers – ohne mediales Haudrauf. Diskutiert wird die entscheidende Rolle von Digitalisierung, die belebende Funktion von Kultur oder die wichtige Rolle von local heroes, um vor Ort etwas zu bewegen. Dabei spielt Zuwanderung eine Schlüsselrolle.
Benjamin Hoff, der Politiker in der Runde hebt sich von vielen anderen Politiker-Diskussionen auffallend ab durch hohes Engagement für Ländlichkeit und ausgeprägte Kompetenz zum Thema. Er ist es auch, der das Thema der Kleinstädte von 5.000 und weniger Einwohnern stark macht, die mehr noch als die Dörfer unter einem Funktionsverlust leiden.
Der Übergang von kleinen Landstädtchen zu Handwerkerdörfern mit einer sehr begrenzten Zentralfunktion ist manchmal fließend. Auf das Schicksal eines Handwerkerdorfs in Vorpommern verweist die andere E-Mail. Sie tut kund, dass ein vor einem Jahrzehnt entstandenes Video nun auf YouTube zu sehen ist. Unter diesem Gesichtspunkt mag es nicht der Erwähnung wert sein. Aber es gibt gute Gründe eine Stunde und 48 Minuten sich auf Törpin einzulassen.
In einem Erzählduktus ländlicher Gemächlichkeit wird hier die Historie eines einst wohlhabenden 700-Einwohner-Ortes mit vielen alten Bildern, einem Tagebuch und Gegenwartsimpressionen aufgeblättert. Es zeigt sich ein Mikrokosmos, wie er beispielhaft für viele andere Orte stehen könnte: Die gewaltigen Veränderungen der Landwirtschaft und der damit verbundenen Gewerbe wie z.B. einer Molkerei. Oder die Bedeutung von Postamt, Bahnstation, Schule, von Arzt oder Apotheker. Die Angebotspalette des täglichen Bedarfs wie die lokale Produktion von Gebrauchsgütern durch Schreiner und Schumacher, Schmied oder Schneidermeister. Nicht zu vergessen die ausgeprägte Feierkultur, die zum Ländlichen unbedingt dazu gehört – inklusive ihrer kaiserlichen oder braunen Einfärbungen.
Von den Glanzzeiten ist wenig übrig. Heute ist Törpin ein prekärer Ort.
Wenn dies alles mit liebevoller Detail-Intensität nachgezeichnet wird, muss man wissen, dass dahinter ein local hero steckt. Prof. Dr. Dr. Helmut G. Pratzel ist als international renommierter Wissenschaftler nach seiner Emeritierung mit seiner Familie aus München zugezogen, hat sich selbst den alten Gasthof zum Domizil genommen sowie die alte Schule gekauft und in ein gemeinnütziges Dorfzentrum – das Törpiner Forum – verwandelt. Heute singt und tanzt er mit den alteingesessenen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern. So verbindet sich hier die Melancholie des Niedergangs mit dem Aufbruch in eine neue Ländlichkeit durch Zuwanderung.
Auch heute noch sehenswert. Hier ist der Link.
Kontakt: kontakt@dr-wolf-schmidt.de
Autor Dr. Wolf Schmidt berät Stiftungen, ist Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in MV und leitet die „Initiative Neue Ländlichkeit” in der Mecklenburger AnStiftung.
Vielen Dank für den Link zu Törpin! Die „epische Breite“ des Dorfporträts erfordert Geduld beim Ansehen des Videos – aber die Unaufgeregtheit und Authentizität hat mir gefallen. Das Engagement der Familie Pratzel wäre auch anderen Dörfern in Mecklenburg-Vorpommern zu wünschen!