Frankfurt/M: Ob man so leben möchte, ist nicht nur eine Frage des Geldbeutels
Auch wenn in der politischen Debatte immer noch von der Chancenlosigkeit ländlicher Räume die Rede ist: Es gibt klare Indizien für ländliche Zuwanderung.
Großstädte wachsen zwar, aber dieses Wachstum muss differenziert betrachtet werden. Nach einer Untersuchung von Antonia Milbert vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung vom Mai 2017 haben Großstädte ihre Einwohnerzahl zunächst durch Binnenwanderung ausgedehnt. Diese ließ aber 2011 nach und 2014 wiesen die Großstädte erstmals keine Binnenwanderungsgewinne mehr auf und erlitten sogar Binnenwanderungsverluste.
Betrachtet man Altersgruppen, so ziehen die 18- bis 30-jährigen Deutschen in die Großstädte, die sogenannten Schwarmstädte. Dagegen verlassen unter den 30- bis 50-jährigen Deutschen und bei Kindern bis 18 Jahren – also bei Familien – seit 2000 stets mehr Personen die Großstädte als neue zukommen. Einen noch größeren Wanderungsverlust verzeichnen die Großstädte – und am meisten die „Big Seven“: Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf – bei den Deutschen über 50 Jahren.
Wenn die Großstädte dennoch wachsen, liegt das an Ausländern, die zuziehen. Zugleich verjüngt sich damit die Bevölkerung, denn Ausländer im Rentenalter kommen wenig, dafür aber viele Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 20 Jahren.
„EU-Zuzügler verschärfen Wohnungsnot in Großstädten – Einheimische flüchten ins Umland“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Wirtschaftsteil am 20. Februar 2019. Das aktuelle Frühjahrsgutachten der „Immobilienweisen“ für die Bundesregierung stellt dazu fest, dass der Anstieg der Immobilienpreise auf den Zuzug aus dem Ausland zurückzuführen ist. Nun hat die Postbank ihren neuen „Wohnatlas 2019“ vorgelegt. Darnach weisen die Berliner Immobilienpreise für 2017/18 mit 11,4 Prozent die höchste Steigerung unter den Big Seven auf. Trotzdem bleiben die Berliner Quadratmeterpreise mit knapp 4.200 € noch moderat gegenüber knapp 4.600 € in Hamburg oder gar über 7.500 € in München.
Immobilienpreise steigen besonders auf dem Land
Aber aufregend ist eine andere Feststellung: Die stärksten prozentualen Steigerungen erzielen jetzt nicht mehr die Großstädte, sondern ländliche Regionen. So zeigt sich im Kyffhäuserkreis in einem Jahr eine Preissteigerung von 41 Prozent. 39 Prozent sind es in Schmalkalden-Meiningen und 24 Prozent im ostfriesischen Wittmund. Auch für MV weisen etwa die Daten der „Immowelt“ Preissteigerungen zwischen zehn und 20 Prozent für die letzten drei Jahre nach. Dabei liegt das Preisniveau an der Küste deutlich höher als etwa im Landkreis Ludwigslust-Parchim.
Die Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt ist allerdings nur ein Faktor für den Trend aufs Land. Dass ländliche Lebensweise von einer relativen Mehrheit der deutschen Bevölkerung als höherwertig gegenüber der urbanen gesehen wird, zeigen empirische Umfragen seit Jahren.
Zudem funktioniert das urbane Aufstiegsversprechen nicht mehr. Der Akademisierungsgrad der Metropolen wächst, sie werden elitärer. Gleichzeitig nimmt aber auch die städtische Armut zu und verschärft damit die gesellschaftliche Spaltung. Der Anteil der HartzIV-Empfänger beispielsweise macht in Berlin und Bremen Ende 2017 rund 18 Prozent der Bevölkerung aus. Im reichen Hamburg sind es immerhin noch 13,4 Prozent, im armen Mecklenburg-Vorpommern dagegen nur 11,1 Prozent. In diesem Zahlen spiegelt sich auch die internationale Armutsmigration in die Großstädte.
Landtrend ethnisieren?
Dieser Befund mag dazu einladen, den Landtrend zu ethnisieren. Herr Höcke von der AFD spricht von den „gallischen Dörfern“: „Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie einst die tapfer-fröhlichen Gallier in unseren ländlichen Refugien zurück und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen.“ (Compact 7/2018)
Höcke macht das zum Vorteil, was manchmal linksliberale Zuhörer bei meinen Vorträgen als Nachteil anmerken: Der geringe Ausländeranteil in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands müsste dringend gehoben werden, um die ländliche Bevölkerung zu etwas Bunterem zu veredeln. Aus meiner Sicht schadet jede völkische Ideologie, die allein in der ethnischen Zusammensetzung einen Vor- oder Nachteil des Landlebens sieht. Es geht eher um soziale Strukturen und Lebensmodelle, die mit ländlicher Lebensweise besser oder schlechter harmonieren.
Soll man jubeln über den Land-Trend? Ja und nein.
Ja, denn er ist ein erfreuliches Indiz, dass Neue Ländlichkeit attraktiv ist. Der Trend hilft, Leerstand zu beseitigen, wo es ihn noch gibt. Wenn insbesondere die Breitbandversorgung gewährleistet ist, wird das Preisgefälle früher oder später Stadtflüchtige auch in strukturschwache Gebiete lenken. Dort kann der Zuzug lokale Wirtschaftskreisläufe und Initiativen ankurbeln.
Ja auch deshalb, weil mehr Zuwanderung aufs Land das Druckpotential erhöht
• Mobilfunk und Breitbandversorgung durchzusetzen
• wohnortnahe Beschulung zu verlangen
• mehr für medizinische Versorgung zu tun (nicht nur für mehr Landärzte, sondern auch gegen den Konzentrationsprozess der Krankenhäuser).
Nicht zuletzt lässt sich so auch besser die Verschandelung der Landschaft durch solche Windenergieprojekte, die nur noch maßlos und profitgierig sind, bekämpfen.
Dem Jubel stehen aber auch Bedenken gegenüber. Wer durch MV fährt, kann eine wachsende Zahl von neuen Einfamilienhaus-Reservaten registrieren. Sie erinnern an urbane Vorstädte: kleine Grundstücke, dichte Bebauung, Absonderung von gewachsenen Strukturen ländlicher Siedlung. Statt Entfaltungsfreiheiten einer Neuen Ländlichkeit droht hier das typische Suburbia: bloß keine Bäume, die Laub abwerfen, keine Hühner, die Krach machen, kein Feuer im Garten, Streit um Heckenhöhe, Rasenmäher-Zeiten und so weiter. Es fehlt auch an Verständnis für die nötige Koexistenz mit einer Landwirtschaft, die gelegentlich stinkt und Dreck macht. Obendrein existiert eine Full-Service-Erwartung gegenüber der Gemeinde anstatt anpackender Selbsthilfe .
In Plate nahe Schwerin hat sich Ende 2018 eine Bürgerinitiative „Unser Dorf soll Dorf bleiben“ gegründet. Sie beklagt, dass die Ortsteile ihren dörflichen Charakter verlieren und will die Ausweisung neuer Baugebiete verhindern. In der Tat werden solche Baugebiete häufig zu urbanen Enklaven, mit denen – außer geschäftstüchtigen Bauträgern – weder die Alteingesessenen noch die Neubürger glücklich werden.
Neue Ländlichkeit bedeutet Integration urbaner Zuwanderer. Dabei ist Integration bekanntlich immer ein zweiseitiger Prozess. Aber da die Landbewohner in der Regel viel besser mit der Stadt vertraut sind als umgekehrt, müssen in erster Linie die Zugewanderten dazulernen. Das gelingt nur mit Maß und Geduld. Und wer wirklich Landleben sucht, wird diesen Lernprozess als Bereicherung empfinden.
Mit einem nur preisgetriebenen Run auf ländliche Immobilien droht ein Prozess, den wir aus dem Tourismus kennen: Auf der Suche nach dem letzten nicht Tourismus-geschädigten Paradies zerstören die Touristen auch dies noch.
Was können wir tun? Neben manchem anderen mehr Bewusstsein schaffen für Lebensmodelle der Neuen Ländlichkeit. Denn mit den Worten des Dichters Christian Morgenstern: „Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.“
Kontakt: kontakt@dr-wolf-schmidt.de
Autor Dr. Wolf Schmidt ist Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in MV und leitet die „Initiative Neue Ländlichkeit” in der Mecklenburger AnStiftung. Autor von „Luxus Landleben – Neue Ländlichkeit am Beispiel Mecklenburgs“