Eine Akademie für den Ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommern?

„Die Akademien Ländlicher Raum in den deutschen Ländern haben das Ziel, die Bedeutung der ländlichen Räume für die gesamte Gesellschaft zu stärken. Hierzu verbreiten die Akademien Informationen und Erkenntnisse über die ländlichen Räume. Sie regen den Dialog über spezifische Probleme an, fördern die Stärken und Chancen der ländlichen Räume, bieten eine Plattform für den Erfahrungsaustausch zur räumlichen Planung und Forschung und wahren die Interessen der ländlichen Räume in der Öffentlichkeit.“

So heißt es in der Selbstdarstellung der „Arbeitsgemeinschaft der Akademien Ländlicher Raum in den deutschen Ländern“, die sich als Sprachrohr ländlicher Räume auf Bundes- und Europa-Ebene versteht. Repräsentiert sind in dieser Arge insgesamt zehn von 16 Bundesländern. Nicht dabei sind natürlicherweise die drei Stadtstaaten. Von den Flächenländern fehlen Saarland, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Braucht Mecklenburg-Vorpommern als das am stärksten ländlich geprägte Bundesland eine solche Akademie nicht?

Das Akademie-Konzept für den ländlichen Raum hat sich seit mittlerweile 35 Jahren wert – vor allem in Bayern, wo 1988 die erste dieser Akademien gegründet wurde. Den Initiator und heutigen Ehrenpräsidenten der Bayerischen Akademie, Professor Dr. Holger Magel, haben wir gerade in der Online-Reihe zur Neuen Ländlichkeit (gemeinsam mit der Europäischen Akademie MV) als Gesprächspartner gehabt. Die Aufzeichnung finden Sie hier.

Mit dem Begriff Akademie assoziiert man wissenschaftliche Exzellenz und institutionelle Unabhängigkeit. Wissenschaft ist nach Standort und Milieu der Forscher in aller Regel eine urbane, wenn nicht metropolitane, Veranstaltung. Stadtgesellschaften agieren in selbstverständlicher Augenhöhe mit Wissenschaft wie auch Politik und Medien. Ländliche Räume dagegen werden von Wissenschaft wenn nicht – wie häufig – ignoriert, dann eher als bloßes Forschungsobjekt gesehen. Die praktische Relevanz und Konsequenz entsprechender Forschungsergebnisse wird wiederum in städtischen Räumen von Politik und Medien diskutiert und entschieden.

Mit dieser Tagungspublikation startete die erste Akademie des Ländlichen Raums 1988 in Bayern. Der Titel ist auch heute noch inspirierend…

 

 

 

 

 

Aus dem erschließt sich umgekehrt der Sinn einer Akademie des ländlichen Raums: Es geht darum, alle Zustände und Herausforderungen des ländlichen Raums interdisziplinär durch Wissenschaften und Fachexperten aus Verwaltungen und Unternehmen im Dialog mit Vertretern des ländlichen Lebens sowie Politik und Medien in den Blick zu nehmen. Der Nutzen ist ein doppelter. Die Akademie kann und sollte sich mit Stellungnahmen in öffentliche Debatten einmischen und so Anliegen mit ländlicher Spezifik Gewicht verleihen. Noch wirksamer kann der informelle Effekt sein, wenn sich im Gespräch von Analytikern, Entscheidern und Betroffenen solche Strategien und Maßnahmen herauskristallisieren, die für ländliche Lebens- und Naturräume optimal sind.

Die Bayerische Akademie des ländlichen Raums bietet dafür die idealen Voraussetzungen. In der Rechtsform eines eingetragenen und gemeinnützigen Vereins verfügt sie über eine Struktur, die ein hohes Maß an Unabhängigkeit gewähren kann – vor allem, wenn eine divers aufgestellte Finanzierung eine gewisse Staatsferne ermöglicht.

Das Programm der Akademie ergibt sich aus Paragraph fünf der Satzung:

“(1) Vereinsaufgaben sind die Förderung von Untersuchungen, Zweckforschungen, Erkenntnissen und Informationen über den ländlichen Raum mit dem Ziel, die Lebens- und Arbeitsgrundlagen in den ländlichen Gebieten zu verbessern.

(2) Der Verein widmet sich diesen Aufgaben insbesondere durch

a) Anregung zum ständigen Erfahrungs- und lnformationsaustausch von Fachleuten, die Forschung und Planung im ländlichen Raum betreiben;

b) Zusammenführung von beteiligten Fachgebieten;

c) Förderung von Forschungsvorhaben in sachorientierten Fachdisziplinen;

d) Förderung von Arbeiten von Studenten und Wissenschaftlern zum Thema ‚ländlicher Raum‘;

e) Kontaktpflege und wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch mit Verbänden, Institutionen und Behörden;

f) Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie Verbreitung und Anwendung von Forschungsergebnissen.”

Die Akademie hat fast 300 berufene Mitglieder, wobei das Wissenschaftliche Kuratorium 23 Köpfe mit ganz unterschiedlichen Profilen aufweist: Architektur und Wirtschaftsgeographie, Raumordnung und Sozialethik, Sozial- und Politikwissenschaften, Umweltethik, Landschaftspflege und einschlägige Verwaltungen.

Wie sieht die praktische Tätigkeit der Akademie aus? Neben großen Tagungen in mehrjährigem Abstand wird jedes Jahr ein Sommerkolloquium veranstaltet. Die Akademie bzw. ihre Mitglieder werden zu Stellungnahmen in den Landtag gebeten. Eine eigene Publikationsreihe mit bisher 56 Themenheften sichert Ergebnisse für Fachpublikum und Öffentlichkeit. Zusätzlich lobt die Akademie im zweijährigen Turnus einen Nachwuchs-Förderpreis für wissenschaftliche Abschlussarbeiten zum ländlichen Raum aus.

Gegenwärtig hat sie für sich drei thematische Schwerpunkte definiert:

  • räumliche Gerechtigkeit,
  • Landesentwicklung,
  • Fläche.

Dabei versteht sich die Akademie als Denk- und Zukunftswerkstatt. Breiter angelegte Bildungsangebote, wie sie für manche Akademie des ländlichen Raums typisch sind, sind in Bayern an die drei „Schulen der Dorf- und Landentwicklung“ ausgegliedert, nach deren Vorbild in MV die „Schule der Landentwicklung“ unter Professor Bombeck in Rostock geschaffen wurde (mehr dazu in der Aufzeichnung unserer Online-Veranstaltung mit Professor Bombeck).

Die bayerische Struktur könnte durchaus vorbildlich für eine entsprechende Akademie in Mecklenburg-Vorpommern sein. Spezifische MV-Themen bieten sich in Fülle an, zum Beispiel Wachstumsfragen der Dörfer und Kleinstädte, Metropolen-Beziehungen, Eigentumsstrukturen in Land- und Forstwirtschaft, Miteinander von Eingesessenen und Zugezogenen, Bewahrung tradierter ländlicher Kompetenzen, Daseinsvorsorge auf dem Land, Energiepotenziale und -konflikte, Jugend – und Alterstauglichkeit ländlichen Wohnens, prekäre soziale Verhältnisse auf dem Lande, Tourismus und temporäre Bewohner als Chance und Herausforderung. Ein übergreifendes konzeptionelles Leitbild dafür könnte wie in Bayern in  der „Raumgerechtigkeit“ mit den vier Dimensionen Chancen-, Verteilungs-, Verfahrens- und Generationengerechtigkeit gefunden werden.

Potenzial ist in den Hochschulen des Landes von Neubrandenburg und Greifswald bis Rostock und Wismar durchaus vorhanden. Es sichtbarer zu machen, besser zu vernetzen und für die ländliche Praxis fruchtbar werden zu lassen, das ist die Herausforderung. Unter allen neuen Bundesländern mit ihren weiterwirkenden Transformationsproblemen könnte Mecklenburg-Vorpommern damit die Rolle eines Leuchtturms einnehmen. Wo bleibt die zivilgesellschaftliche Initiative unter aktiver Einbindung der ländlichen Basis?

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