Unser Land verfügt über eine Dichte an Schlössern und Gutsanlagen sowie Park- und Gartendenkmalen, die in Europa außergewöhnlich, wenn nicht einmalig ist. Gelungener Konservierung und Restaurierung stehen immer noch viele marode Objekte gegenüber. Immer wieder und immer neu geht es um die wirtschaftliche Tragfähigkeit dieses historischen Erbes.
In Großbritannien gibt es seit 1895 den National Trust als gemeinnützige Organisation, die heute über 300 Bau- und Gartendenkmale sowie 19 Schlösser auf 2550 Quadratkilometern in ihrem Besitz bewahrt. Die wirtschaftliche Grundlage schaffen 5,6 Millionen Mitglieder und 65.000 ehrenamtlich Engagierte mit einem Arbeitseinsatz von 4,8 Mio. Stunden in 2018/19. 12.000 Mitarbeiter sind beim National Trust beschäftigt. Wer das kennt, fragt: Warum gibt es keine ähnlichen Ansätze für unser Land?
Zu dieser Thematik hat die Mecklenburger Anstiftung am 26. November 2019 im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus eins ihrer Lunch-Gespräche „Schweriner Gedanken zur Zukunft“ veranstaltet. Unterstützt wurde sie durch ein Sponsoring der WEMAG, des regionalen Energieversorgers. Gekommen waren über 40 Persönlichkeiten, die sich seit langem im Feld des Denkmalschutzes und der Landesentwicklung bewegen – zum Teil beruflich, zum Teil im freiwilligen Engagement.
Natürlich war das Thema als Provokation gemeint, Lage und Herausforderungen unseres ländlichen Bau-Erbes noch einmal neu und ohne Scheu vor großen Entwürfen in den Blick zu nehmen. Eine bloße Kopie des National Trust konnte nicht infrage kommen, das war den Veranstaltern von Anfang an klar. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen in Großbritannien und bei uns.
Vertieft werden sollte das Thema anhand von zwei Beispielen aus Nordrhein-Westfalen und Bayern, wie Erfahrungen des National Trust für Deutschland fruchtbar gemacht worden sind.
Als Referenten wurden unter der Moderation von Dr. Sebastian Kalden (Vorstandsmitglied der Mecklenburger AnStiftung) gewonnen:
- Dr Friederike Drinkuth, Leiterin der Abteilung Staatliche Schlösser und Gärten Mecklenburg-Vorpommern
- Dr. Rudolf Himpsl, Geschäftsführer von Stiftung und Verein Kulturerbe Bayern, das sich als bayerischer National Trust versteht
- Martina Grote, Geschäftsführerin der Nordrhein-Westfalen-Stiftung, die 1986 nach dem Vorbild des National Trust gegründet wurde.
Die Unterschiede zwischen der staatlichen Schlösserverwaltung in MV (SSGK MV) und dem National Trust (NT) machte Frau Dr. Drinkuth gleich in ihrem Eröffnungsbeitrag deutlich.
- „Die SSGK MV beauftragt nicht eigenständig Baumaßnahmen an oder in den Schlössern oder Gärten, nur kleinere Reparaturen werden selbständig ausgelöst. Die großen Bauaufgaben obliegen dem landeseigenen BBL. Die SSGK betreuen diese nur als Nutzer und liefern die wissenschaftlichen Grundlagen. Der NT beauftragt eigenständig.
- Die SSGK betreibt weder Cafes noch Restaurants selbst. Auch produziert die SSGK nicht wie der NT zum Verzehr geeignete Produkte, die gewerblich vertrieben werden.
- Der NT verbucht ca. 60.ooo Übernachtungen in Hotels oder Ferienhäusern p.a.
- Mit Verdiensten aus Foto, vor allem aber Filmaufnahmen (z. B. Game of Thrones) hatte der NT Einnahmen in Höhe von 2Mio GBP in 2018/19, eine derart professionelle Vermarktung gibt es bei der SSGK nicht.
- Die SSGK hat keine Tochtergesellschaften oder Firmen, der National Trust hat mehrere wie z.B. eine Hotelkette, eine GmbH für erneuerbare Energien, eine Immobilienverwaltung, etc.
- Die SSGK betreibt keine Nationalparks oder bewirtschaftet, spezielle naturgeschützte Habitate. Der NT ist einer der größten Reservatebetreiber in GB.
- Für Sonderprojekte oder Ankäufe werden Drittmittel oder Spenden von der SSGK eingeworben, es gibt aber keine Abteilung für professionelles Fundraising in der SSGK, was beim NT einen der großen Einnahmefaktoren ausmacht.“
Aus der Präsentation des bayerischen und nordrhein-westfälischen Projekts ergaben sich insbesondere folgende für uns relevante Gesichtspunkte:
Während sich die NRW-Stiftung auch um Naturflächen (in ihrem Eigentum) kümmert, konzentriert sich Kulturerbe Bayern auf kulturgeschichtliche Objekte.
Für beide Stiftungen sind Fragen der Landesidentität und der Heimatverbundenheit von herausragender Bedeutung. Die bayerische Stiftung versteht sich stark als Vermittler des kulturellen Wertes der bayerischen Kultur- und Naturschätze bis hin zur Alltagskultur von Essen und Trinken.
Beide haben eine Doppelstruktur von Verein und Stiftung. Beide sehen ihre Aufgabe – in unterschiedlicher Form und Gewichtung – darin, freiwilliges Engagement im Kontext der Erhaltung von Kulturgütern zu fördern. Die Vereinsbeiträge liegen unter 50 € pro Jahr, weil eine hohe Mitgliederzahl als unterstützend für das Anliegen gesehen wird.
Die bayerische Stiftung zielt eher auf den Erwerb von Bauobjekten, während die NRW-Stiftung schon in den Anfangsjahren dieses Ziel aufgegeben hat.
Während die NRW-Stiftung nun seit 33 Jahren aktiv ist, wurde die bayerische Stiftung erst 2018 (der Verein 2015) gegründet. Der NRW-Verein kommt auf 8.500 Mitglieder (natürliche und juristische Personen). Der bayerische Verein hat noch weniger als 1.000 Mitglieder.
In beiden Fällen spielt staatliche Unterstützung eine große Rolle, auch wenn es sich um Stiftungen privaten Rechts handelt. Die NRW-Stiftung erhält den weitaus größten Teil ihres 11-Millionen-Jahresetats aus Lotto- und Landesmitteln, das Kulturerbe Bayern bekommt für die nächsten Jahre eine jährliche Zuwendung des Freistaats in Höhe von 360.000 €. In beiden Stiftungen sind prominente Landespolitiker in Führungsfunktionen.
Zur Finanzierung der NRW-Stiftung wurde bei der Gründung parallel eine Lotterie („Rubbellose“) geschaffen.
Beide Vereine und Stiftungen können sich im Unterschied zu MV auf wohlhabende Lokalgesellschaften und traditionelle Strukturen stützen.
In beiden Fällen sind Verein und Stiftung eng verzahnt. Bei beiden wird die Vereinsmitgliedschaft durch verschiedene Angebote wie Eintrittsermäßigungen, Sonderführungen, Studienfahrten, Sonderkonditionen bei Partnern in anderen Ländern attraktiv gemacht.
Für beide Stiftungen ist es – ähnlich dem Verhältnis von Mecklenburg und Vorpommern – eine Herausforderung, die Eifersüchte und Gefühlslagen der Landesteile innerhalb des Bundeslandes zu berücksichtigen.
Für beide Stiftungen spielt die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern eine große Rolle.
Die NRW-Stiftung trägt vor allem durch Gewährung von Fördermitteln zur Erhaltung von denkmalgeschützten Objekten bei. Bedingung einer Förderung ist, dass das Objekt zumindest partiell für eine (auch) öffentliche Nutzung zur Verfügung stehen muss. Dies wird vertraglich abgesichert. Förderungen müssen sich nicht allein auf den Bau beziehen, sie können auch für die Ausstattung gewährt werden.
Drei Jahrzehnte nach Gründung bekommen die testamentarischen Zuwendungen für die NRW-Stiftung Relevanz. Langer Atem ist also gefordert.
Was in der Diskussion betont wurde:
Die staatliche Denkmalpflege ist mangelhaft ausgestattet und überfordert. Hier braucht es dringend Abhilfe. Das ist auch relevant für die Ersatzvornahme von Notsicherungsmaßnahmen, wenn Besitzer ihre Denkmalobjekte verfallen lassen.
Es kann überhaupt nicht darum gehen, den Staat von Verantwortung für die Bewahrung des Kulturerbes zu entbinden. Er bedarf aber zivilgesellschaftlicher Ergänzung – finanziell wie ehrenamtlich.
Eine Konstruktion wie der National Trust hat sich in Deutschland in früheren Recherchen als stiftungs- und steuerrechtlich nicht realisierbar erwiesen.
Es gibt viele erfolgreiche Einzelbemühungen für einzelne Objekte, aber es fehlt eine Bündelung und ein strategischer Gesamtansatz.
Eine spezielle Herausforderung ist die Nachfolge in der Trägerschaft mehr oder weniger sanierter Objekte, bei denen die Weiterführung und weitere Pflege auf dem Weg der Vererbung nicht möglich erscheint.
Das Verhältnis von Sanierung und Nutzungskonzept gehört zu den größten Herausforderungen. Nicht alles kann unabhängig von der Nutzbarkeit erhalten werden.
Ein Grundproblem ist die Trennung von Gutsimmobilien und Agrarflächen durch die Privatisierung seit 1990. So ist die wirtschaftliche Grundlage der Gutshaus-Erhaltung zerstört worden.
MV verfügt über die größte Dichte von Gutsimmobilien in Europa. Es sollte angestrebt werden, dieses Alleinstellungsmerkmal als UNESCO-Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. So würde auch eine neue Dynamik in das Thema kommen.
Die touristische Nutzung von Gutshäusern (Hotel, Gastronomie) stößt an ihre Grenzen, weil gerade im strukturschwachen Binnenland keine Wirtschaftlichkeit über das gesamte Kalenderjahr zu erziehen ist.
Gegenüber den vielen bedrohten Objekten ist auch die Erfolgsgeschichte der Gutsanlagen zu sehen. Neben den Schlössern in staatlicher Hand sind viele Herrenhäuser mittlerweile von privaten Besitzern mit viel Aufwand und Liebe saniert worden. Problematisch sind vor allem solche Objekte, die für private Wohnzwecke eines Erwerbers zu groß sind und für die es keine anderweitigen Nutzungsideen gibt.
Gerade in letzter Zeit sind spektakuläre Objekte aus überfordertem Privatbesitz in öffentlichen Besitz bei gleichzeitig viel bürgerschaftlichem Elan übergegangen: Gadebusch, Raben Steinfeld, Ludwigsburg.
Ein Engagement des Landes zur Erhaltung der Gutsanlagen lässt zu wünschen übrig. Ohne dieses Engagement geht es nicht. Das betrifft sowohl die Finanzen als auch die Kompetenz.
Bürgerschaftliches Engagement zur Erhaltung von Gutsanlagen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt – zum Teil gar nicht vorhanden, zum Teil an der Überforderungsgrenze. Ein übergreifendes Förder- und Entwicklungskonzept dafür existiert nicht.
Das Interesse der lokalen Bevölkerung an der Erhaltung von Gutshäusern wird kontrovers beurteilt. Möglicherweise wird der Lokalstolz in MV zurückhaltender gelebt als anderswo.
Wie geht es weiter?
In der Diskussion wurde von mehreren Teilnehmenden der Wunsch geäußert, die Mecklenburger AnStiftung möge sich im Sinne der Bündelung und Konzeptionierung weiter für die Bewahrung des ländlichen Bau-Erbes einsetzen. Dazu sind wir grundsätzlich bereit.
Wir haben gute Erfahrungen mit dem Format einer Denkwerkstatt zum Thema bürgerschaftliches Engagement in MV gesammelt. In einem dreijährigen Prozess mit einem Expertenkreis von 15 Personen und zusätzlichen Gästen wurden Befunde erhoben und Positionen erarbeitet, die zu praktischen Ergebnissen geführt haben – z.B. in Gestalt der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern. Möglich war diese Denkwerkstatt dank einer großzügigen Finanzierung durch die Herbert Quandt Stiftung. Es braucht auch für eine „Denkwerkstatt LandErbe MV“ einen entsprechenden Förderpartner, nach dem wir Ausschau halten.
Unabhängig davon werden wir mit der Recherche beginnen, welche Bedarfe, Potentiale, Handlungsmöglichkeiten und Organisationsmodelle für einen neuen ergänzenden Ansatz der Bewahrung von ländlichem Bau-Erbe zu beachten sind. Wir wünschen uns dabei eine gute Zusammenarbeit mit allen bereits tätigen Akteuren, ob nun Vereine, Stiftungen oder Einzelpersonen. Wir wollen weder das Rad neu erfinden noch bestehenden Initiativen Konkurrenz machen, sondern einen Mehrwert an Analyse und gesellschaftlich-politischer Aufmerksamkeit für das gesamte Feld schaffen. Für jede Art von Unterstützung in diesem Vorhaben sind wir dankbar.
Kontakt: kontakt@dr-wolf-schmidt.de
Autor Dr. Wolf Schmidt ist Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in MV und leitet die „Initiative Neue Ländlichkeit” in der Mecklenburger AnStiftung. Autor von „Luxus Landleben – Neue Ländlichkeit am Beispiel Mecklenburgs“
Ich war leider nicht auf der Veranstaltung. Aber:
….. Wichtige Initiative; über eine eigenständige die in Mecklenburg Vorpommern vorhandenen vielen denkmalgeschützten Gutshäusern, Herrensitzen, Parks und Industrieanlagen schützende Institution nachzudenken ist sinnvoll und zielführende Ideen zu Konzepten weiter zu entwickeln, ist in hohem Maße zu begrüßen …….