Luxus Landleben – Ein Reisebericht

Schloss Kaarz – Foto Stefan von Stengel

Über Neue Ländlichkeit nicht nur zu schreiben und zu diskutieren, sondern sie vor Ort in Augenschein zu nehmen, das war die Idee einer dreitägigen Studienfahrt der Mecklenburger AnStiftung, die vorige Woche stattfand: „Luxus Landleben – Eine Studienfahrt in den mecklenburgischen ‚Garten der Metropolen‘“.

„Augenschein“ ist vielleicht ein unzureichendes Stichwort. Diesen kann sich ja jeder selbst verschaffen, der – mit Literatur und Prospekten, Karten und Navi bewaffnet – durchs Land fährt. Das Projekt beabsichtigte viel mehr: persönliche Begegnungen und Gespräche mit Menschen, die sich für einen ländlichen Lebensentwurf, besonders auch in selbst restaurierten Herrenhäusern, entschieden hatten.

Das Ganze war ein Experiment, das in der AnStiftung gärte, seitdem bei einem Vortrag von mir im Hamburger Übersee-Club im Juni 2013 Interesse an einer solchen Reise aufgekommen war. Die Veröffentlichung meines Buches „Luxus Landleben – Neue Ländlichkeit am Beispiel Mecklenburgs“ im April gab dann den Ausschlag, die alte Idee endlich auszuprobieren.

Wie groß das Interesse sein würde, darüber ließ sich nur spekulieren. Der Teilnahmebeitrag von 490 € pro Person war günstig für ein außergewöhnliches Programm und zwei Übernachtungen im Schlosshotel, aber deutlich jenseits von Preisen konventioneller touristischer Busreisen. Damit die Reise zustande kam, sollten sich mindestens sieben Teilnehmende finden. Als Maximum wurden vierzehn Personen festgelegt, um eine gewisse Intimität des Projekts zu wahren und die private Gastfreundschaft unserer Gesprächspartner nicht zu überfordern.

Das Maximum an Gästen fand sich innerhalb von zwei Monaten und ich hatte nun die Freude, von Mittwoch mittags bis Freitag nachmittags eine bunte Gruppe aus Mainz und Hamburg, Berlin und Westfalen, aber auch Mecklenburg selbst, im Garten der Metropolen zu führen. Der auf 20 Personen ausgelegte Bus war dabei genau richtig, um sich während der Fahrt auszutauschen und auch holprige Landwege und schmale Zufahrten zu bewältigen.

Jeder Gast erhielt eine Infotasche mit Karten, einer Broschüre zum Sternberger Seenland, in dem wir uns hauptsächlich bewegten, und einer speziellen Sammlung von Hintergrundinformationen zu den besuchten Objekten und Personen. Das „Erfahren“ im mehrfachen Wortsinn nahm uns allerdings so gefangen, dass Lesen erst einmal nicht angesagt war.

Ausgangs- wie Endpunkt und Standquartier bildete in entspannter Abgeschiedenheit zwischen Wald und Weiden das Schloss Kaarz, dessen Geschichte und dessen Park uns in einer detailreichen Führung nahegebracht wurden. Ursprünglich ein adliges Gut, wurde Kaarz nach der Reichsgründung von 1871 durch einen Hamburger Kaufmann und Reeder erworben, der hier mit großem Aufwand seinen Traum bürgerlich-feudaler Ländlichkeit realisierte. Die Nachfahren, die das Objekt 1992 zurückerwarben, versuchten Familientradition und Hotelbetrieb zu verbinden, was ökonomisch offenbar nicht tragfähig war. Die neue Besitzerin Fanja Pon hat seit 2013 viel in das Haus investiert und mit erheblichem Personaleinsatz Angebot, Komfort und Service verbessert. Profitabilität dürfte damit nicht zu erreichen sein, wohl aber ein Rahmen ländlicher Repräsentation für die Besitzerin eines niederländischen Konzerns, der in vielen Branchen global aktiv ist.

Erstes Ziel war der Storchenhof von Dr. Reingard Sauer in Reinstorf. Bei Kaffee und Kuchen schilderte sie in ihrem denkmalgeschützten Hofladen ihren Weg von einer Pädagogik-Dozentur zur Bäuerin und von Berlin in ein mecklenburgisches Dorf, mit all den Herausforderungen von Bürokratie und Wirtschaftlichkeit bei nur 22 Hektar Eigenland.

Eine völlig andere Welt eröffnete sich wenige Kilometer weiter in dem kleinen Dorf Wietow. In Nachbarschaft eines „Reichsbürger“-Anwesens hat hier das Ingenieur-Ehepaar Schmidt aus Wismar ein Herrenhaus übernommen und mit einem Millionenbetrag an Fördermitteln in das „SolarZentrum Mecklenburg-Vorpommern“ verwandelt. Hier ist vieles an beeindruckender Energie-, Lüftungs- und Sanierungstechnik zu besichtigen, das zum Teil auf Eigenentwicklungen der Besitzer zurückgeht. Dr. Ditmar Schmidt verbindet das Landleben nicht nur gedanklich mit den großen Zukunftsherausforderungen von Klima, Ernährung und Gesundheit, er findet mit seinem Projekt auch global in Afrika, Asien und Südamerika Resonanz – vielleicht mehr als in MV.

Den Abend verbrachten wir gemeinsam auf Kaarz bei Ochse oder Kaninchen, „Himmel und Erde“ oder Fisch. Schnell entwickelten sich Gespräche über Gott und die Welt so intensiv, dass wir die Vorstellungrunde auf den nächsten Abend vertagten.

Der nächste Morgen führte uns nach Rothen – ein Muss für alle, die sich mit Chancen Neuer Ländlichkeit in MV befassen. Im Gutshaus empfingen uns Gabriele und Christian von Lehsten, die bereitwillig Einblick in all ihre Erfahrungen mit der Sanierung des Hauses, dem Dorf, der Vermietung von Ferienzimmern oder den Künstlern und Handwerkern im Rothener Hof, der alten Gutsscheune, gaben. Auch hier kam das Gespräch immer wieder auf zum Teil groteske politische und bürokratische Hindernisse ländlicher Entwicklung. Den Abschluss fand der Besuch in der „Rothen Kelle“ mit Fenchel-Bratwurst, Pasta oder Kürbissuppe – ein Genuss an Gartentischen unter herbstlicher Sonne.

Kurvenreich ging es in der hügeligen Moränenlandschaft mal über uraltes Kopfsteinpflaster meist aber modernen Asphalt nach Baumgarten, einem Nest nicht weit von Bützow, wo sich das Künstlerehepaar Katrin und Ernst Lau vor einem Jahrzehnt die Alte Molkerei zum Wohn- und Arbeitssitz wie auch Ausstellungsraum erkoren hat. Wir konnten Plastiken, Drucke und Bilder bestaunen sowie das Haus und den liebevoll gepflegten Garten inspizieren. Dabei stand das Gespräch unter einem besonderen Vorzeichen: Die Besitzer bauen gerade ein kleines Häuschen mit Ostseeblick in Lubmin und suchen Käufer für Ihr Anwesen in Baumgarten, das sich in einem ziemlich perfekten Zustand befindet, aber dem 75-Jährigen zuviel wird. Außerdem lockt die Ostsee. Ob die beiden mit ihrer Veränderung glücklich werden, das hat uns auch in Nachbetrachtungen bewegt.

Weiter ging es zum Kloster Rühn, wo uns die Klosterkirche aufgeschlossen wurde und Einblick in Kunst und Herrschaft des 16. bis 18. Jahrhunderts gab, abgerundet durch eine kurze Kaffeepause in der Klosterschänke. Auf dem imposanten Klostergelände waren wir die einzigen Besucher.

Rühn war nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Lübzin, wo uns Manfred Achtenhagen, der versierteste Vermittler von historischen Gutsimmobilien im Lande, erwartete. Er hatte den Schlüssel für das Herrenhaus, das hier – wie häufig – als Schloss bezeichnet wird. „Auf eigene Gefahr“ erkundeten wir drei Etagen des großen Baus, in dem einige Sanierungen realisiert wurden, aber der Blick auch vom Parterre durch abenteuerlich geflickte Balkenlagen in den Dachstuhl schweifte. Der Erwerber hatte sich offenbar mit seinen Plänen übernommen und will nun das angefangene Projekt zu einem Preis verkaufen, der uns wenig realistisch erschien – auch wenn das Haus mit Park direkt am See liegt und die Nachbarschaft nicht, wie anderenorts, verschandelt ist.

Aus dem staubigen Gemäuer führte uns der Weg wenige Kilometer weiter nach Buchenhof zu einem 600-Quadratmeter-Gutshaus, das sich Kirsten Wagner und Rolf Koch aus Hamburg vor 10 Jahren zu ihrem Wochenend-Projekt gemacht haben. Empfangen mit einem Glas Sekt und verwöhnt durch ihre „süße“ und „salzige“ Gastfreundschaft, bekamen wir in Bildern und Erzählungen einen detaillierten Einblick in die Sanierung, die beide vor allem mit eigener Muskelarbeit gestemmt haben – aber auch mit viel verspielter Fantasie in Gestaltung und Möblierung der Räume.

Der Abend bei Kaarzer Küche brachte uns endlich zur Vorstellungsrunde, die auch viele Einblicke in unsere eigenen Lebensgeschichten zuließ, nachdem wir soviel sehr Privates von unseren Gesprächspartnern erfahren hatten.

Der dritte Tag führte uns in eins der vielen Wendörfer, hier das Wendorf zwischen Brüel und Crivitz. Dort ließen wir – diesmal ohne Gesprächstermine – den Kontrast des protzigen Schlosshotels und der in einem DDR-Schulgebäude geschaffenen „Wendorf Academy“ von Ton Matton und Ellie Smolenaars auf uns wirken.

Von diesen Neu-Mecklenburgern aus den Niederlanden ging es zu einem anderen, wenige Kilometer weiter nach Weberin ins Cafe Naschwerk. Hier erzählte uns Ed Schütze, ursprünglich Maskenbildner, im Tonfall unvermeidlich an Rudi Carrell erinnernd und in erfrischend provozierender Art von seinem Leben und dem Erfolg seines Projekts. Es lockt im mecklenburgischen Nirgendwo Gäste aus ganz Deutschland und selbst dem Ausland an. Das Erfolgsgeheimnis? Außergewöhnliche Produkte, Trommeln und Persönlichkeit. Eine Verkostung des Angebots rundete den Besuch ab.

Mit einem kleinen Umweg nahmen wir noch Wamckow in den Blick, ein kleines proper hergerichtetes Dorf, wo die Milliardärsfamilie Rethmann aus dem Kreis Unna eine neue Heimat gefunden hat und Einheimischen Arbeit bietet.

Schließlich erreichten wir – vorbei an Christa Wolfs letztem Sommersitz – unsere finale Station, das Gutshaus Woserin. Zwischen vielen Handwerkern empfingen uns Sabine Puschmann und Michael Tabukasch mitten in einer Baustelle – glücklich lachend, obwohl der Umzug aus Bremen gerade erst erfolgte und ein Saal vollgestellt mit Umzugsgut war. Nachdem der Wetterbericht für unsere Reise Deprimierendes angekündigt hatte, saßen wir auch hier unter strahlender Sonne auf einer provisorischen Holzterrasse über dem See und lauschten mitfühlend wie bewundernd den Erfahrungen und den Plänen für eine Akademie der Kunst und Kultur im „Gutshaus am See“.

Um 16:15 Uhr waren wir zurück in Kaarz und konnten uns voneinander verabschieden – nicht ohne die Versicherung, in Kontakt zu bleiben und gern ein solches Unternehmen zu wiederholen.

Auch drei Tage nach der Reise gehen mir immer noch viele Bilder durch den Kopf – Szenen die sich eingebrannt haben, obwohl ich alle Schauplätze und Akteure schon vorher kannte. Der Eindrücke gibt es mehr, als hier zu formulieren ist. Und erst recht gibt es viel Stoff zum Nachdenken, wie und für wen Landleben heute zum persönlichen Glück führt. Und zum Analysieren, welche Strategien ländliche Entwicklung braucht. Das wird wohl uns alle, die wir drei Tage miteinander unterwegs waren, weiter bewegen.

PS: Wer sich für weitere Studienfahrten interessiert, darf sich gern beim Verfasser melden.

Kontakt: kontakt@dr-wolf-schmidt.de

Autor Dr. Wolf Schmidt berät Stiftungen, ist Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in MV und leitet die „Initiative Neue Ländlichkeit” in der Mecklenburger AnStiftung.

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