Über Ruralismus, Schwarmwanderungen und gutes Leben

Teil 3 der Online-Reihe „Die Revolution des Landlebens“

Über den Strukturwandel der Landwirtschaft wird schon lange und kontrovers diskutiert. Dieser Strukturwandel der ländlichen Besiedlung und Bevölkerung ist sehr tiefgreifend, aber kaum ein Thema in öffentlichen Debatten. Dabei entsteht hier etwas gesellschaftspolitisch Neues: Erstmals seit der Jungsteinzeit arbeitet die überwältigende Mehrheit der Menschen auf dem Lande nicht mehr in der Landwirtschaft, im Forst oder in der Fischerei.

Diesen Wandel wollen wir – die Mecklenburger AnStiftung und die Europäische Akademie MV – in diesem Jahr mit Expertengesprächen erkunden, dabei aktuellen Entwicklungen auf den Grund gehen und den Strukturwandel auf dem Land aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Jede Veranstaltung findet online statt mit einem Kurzvortrag und Zeit für Anmerkungen und Diskussionen. Im Anschluss bietet der Moderator jeweils ab 20.15 ein Nachgespräch über Zoom an.

Den Zoom-Einwahllink für alle Veranstaltungen der Reihe erhalten Sie bei der Europäischen Akademie MV von Ewa Wilk: e.wilk@ea-mv.com

Die Teilnahme ist für alle Interessierten kostenlos.

Für Anmeldungen und Rückfragen stehen wir Ihnen gern unter e.wilk@ea-mv.com  oder unter 03991 153711 zur Verfügung.

Termine Teil 3:


Montag, 2. August 2021        18:00 – 19:15 Uhr  

„Recht auf Dorf“ und „Progressiver Ruralismus“:

Kompass alternativer Entwicklungsstrategien für  ländliche Räume

Dr. Michael Mießner

Ländliche Räume sind in den letzten Jahren wieder vermehrt in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit gelangt. Gezeichnet wird häufig ein Bild abgehängter Regionen, die besondere politische Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigen. Ländliche Orte und ihre Bewohner*innen erscheinen so als Bedürftige und nur selten als eigenständige Akteure. Gleichzeitig sind die regionalpolitischen Strategien darauf ausgerichtet die Position ländlicher Räume im Wettbewerb der Regionen zu verbessern. Das ein solcher Wettbewerb immer auch Verliererregionen produziert, wird dabei ausgeblendet. Im Vortrag sollen mit dem „Recht auf Dorf“ und dem „Progressiven Ruralismus“ Eckpunkte eines Kompasses für eine alternative Landpolitik vorgestellt werden, die die ländlichen Akteure als handelnde Subjekte ernst nimmt und sich nicht in das Wettbewerbsdogma einfügt.

Dr. Michael Mießner ist aktuell Postdoc-Assistent an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Aus kritisch-geographischer Perspektive forscht er zu regionaler und ländlicher Entwicklung, Raumplanung sowie Immobilienmärkten und sozialräumlichen Entwicklungen abseits der Metropolen. Er ist Mitverfasser des Buches „Kritische Landforschung“ (2021) sowie Mitherausgeber der gleichnamigen Buchreihe im transcript-Verlag und des Sammelbandes „Kritische Geographien ländlicher Entwicklung“ (2019, Verlag Westfälisches Dampfboot).

Web: https://www.aau.at/team/miessner-michael/#tab-id-1

E-Mail: michael.miessner@aau.at


Montag, 6. September 2021             18:00 – 19:15 Uhr  

Zurück aufs Land? Deutet sich eine Trendumkehr  bei den Schwarmwanderungen an?               

Ludger Baba

In einer vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. 2015 veröffentlichten Studie hat empirica ein „neues“ Binnenwanderungsmuster analysiert, welches wir „Schwarmverhalten“ genannt haben. Der Begriff soll ausdrücken, dass insbesondere die jüngere Bevölkerung wie Vögel aus den meisten Regionen Deutschlands aufsteigen, als Schwarm in vergleichsweise wenige „Schwarmstädte“ einfallen und dort für knappen Wohnraum sorgen, während sich die Abwanderungsregionen zunehmend entleeren. In einem Gutachten aus 2021 des Rates der Immobilienweisen schreibt empirica nun sechs Jahre später: „Jenseits der 30 Jahre aber gewinnen die ländlichen Räume wieder. Familien verlassen die Groß- und Schwarmstädte und ziehen nicht nur in die Umlandkreise, sondern auch in die weiter entfernten ländlichen Räume.“ Deutet sich etwa eine Umkehr der Schwarmwanderungen an? Wenn ja, profitieren alle oder nur einige ländliche Räume? Und welche Folgen hätte eine Trendumkehr für die Immobilienwirtschaft? Auf diese und weitere Fragen versucht der Referent Antworten zu finden und zu geben.

Ludger Baba ist aufgewachsen in einer Mittelstadt zwischen städtischem und ländlichem Raum und lebt seit dem Studium in der Stadt. Beruflich hat er sich in den ersten 20 Jahren fast ausschließlich mit Stadtentwicklung und Stadtökonomie in unterschiedlichen Kontexten beschäftigt. Seit dem Beginn der sog. Schwarmwanderungen und verstärkt seit dem vermehrten Zuzug geflüchteter Menschen nach Deutschland bilden die ländlichen Räume mit ihren Dörfern, ihrer Integrationsfähigkeit und ihrer (neue) Attraktivität als Wohn- und Arbeitsort einen neuen Fokus seiner Forschungs- und Beratertätigkeit. Beruflich hat er einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt gefunden, privat sucht er noch mit seiner Familie, wenn er sie denn überzeugt hat, nach einer Bleibe irgendwo in den ländlichen Räumen.

https://www.empirica-institut.de/

Kontakt: baba@empirica-institut.de


Montag, 4. Oktober 2021                 18:00 – 19:15 Uhr  

“Gutes Leben” für wen? Ökonomische, kulturelle und soziale  Voraussetzungen gelingenden Landlebens

Dr. André Knabe

 Wer sich mit Armut in ländlichen Räumen beschäftigt, hat mit einem Paradox zu kämpfen: Wenn Ungleichheiten beschreiben und greifbar gemacht werden sollen, muss der Finger in die Wunde gelegt und Orte und Gruppen benannt werden, die systematischen Benachteiligungen unterliegen. Gleichzeitig ist es so, dass Ungleichheiten durch solche negativen Zuschreibungen und Diagnosen verstärkt und reproduziert werden. Es stellt sich die Frage, wie wir Probleme der Entwicklung ländlicher Räume thematisieren können, ohne uns an der diskursiven Abwertung von Menschen und Orten zu beteiligen. Eine Möglichkeit ist, weniger über konkrete Aktivitäten an konkreten Orten zu reden und den Fokus verstärkt auf die strukturellen Voraussetzungen dieser Aktivitäten zu legen. Denn die Umsetzung jeder Idee zum guten Leben in ländlichen Räumen ist angewiesen auf komplexe Strukturen, die entscheidend für ihr Gelingen sind. Dieser Beitrag möchte zur Diskussion über die Verteilung von ökonomischen, sozialen und kulturellen Ressourcen in ländlichen Räumen anregen.

Dr. Andre Knabe arbeitet seit 2014 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie – Makrosoziologie an der Universität Rostock (Prof. Dr. Peter A. Berger).  Promoviert wurde er 2020 mit einer Arbeit zum Thema „Soziale Armut? Wahrnehmung und Bewältigung von Armut in sozialen Netzwerken“. Er hat zahlreiche Publikationen zu Arbeit, Arbeitslosigkeit und Armut, Familienverhältnissen, sozialen Netzwerken und Stigmatisierung vorgelegt – auch mit regionalem Fokus auf Mecklenburg-Vorpommern.

https://www.isd.uni-rostock.de/knabe/

Kontakt: andre.knabe@uni-rostock.de


Moderation:                    Dr. Wolf Schmidt, Mecklenburger AnStiftung

Dr. Wolf Schmidt (geb. 1952 in Warin/Mecklenburg) ist Stifter und Vorsitzender des Stiftungsrates der Mecklenburger AnStiftung. In der Hamburger Körber-Stiftung hat der studierte Historiker 27 Jahre – davon sieben Jahre als Vorstand – nationale und internationale Projekte realisiert und Verantwortung für die Entwicklung einer der größten deutschen Stiftungen getragen. Mit seiner „Stiftungspraxis“ PhiPolisConsult hat er 2008 bis 2018 Stiftungen und gemeinnützige Projekte im gesamten deutschsprachigen Raum beraten. Seit 2010 wohnt er dörflich in Dobin am See. Dr. Schmidt ist seit 2011 Sprecher des Landesnetzes der Stiftungen in Mecklenburg-Vorpommern. 2012-2015 war er Ko-Vorsitzender der Denkwerkstatt „BÜRGER.INNEN.LAND MV“. 2017 hat er mit der AnStiftung die „Initiative Neue Ländlichkeit“ gestartet. In der Schriftenreihe der Herbert Quandt-Stiftung ist sein Essay „Die Kunst des Bleibens – Wie Mecklenburg-Vorpommern mit Kultur gewinnt“ erschienen, im „Aktionsprogramm Nachhaltige Landwirtschaft in MV 2015“ sein Beitrag „Dörfer im Garten der Metropolen“. 2017 erschien „Luxus Landleben. Neue Ländlichkeit am Beispiel Mecklenburgs.“

2019 „Das fremde Land – zum Verständnis ländlicher Milieus“ In: Dorfgespräch. Ein Beitrag zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum.  Über Neue Ländlichkeit schreibt er u.a. in www.landblog-mv.de.

https://dr-wolf-schmidt.de/   https://www.anstiftung-mv.de/

Kontakt: kontakt@dr-wolf-schmidt.de

Ein Gedanke zu „Über Ruralismus, Schwarmwanderungen und gutes Leben

  1. Glaube nicht an eine generell mögliche Ruralisierung, so sehr ich das auch bedauere.
    Zusammenleben in einer Dorfgemeinschaft (bis etwa 1000 EW) will nicht gelernt, sondern „angeboren“, sein; und selbst dann ist man noch nicht fixiert und dauernd den Verlockungen städtischen Lebens ausgesetzt -und oft genug erlegen.
    Es ist auch hier wie überall, man ist den Versprechungen aufgesessen, geht in die Stadt, stellt fest, daß es falsch war, sucht sich zwecks innerliches Verarbeitung Gleichempfindende und bleibt idR., also für das Land l e b e n verloren. Auch Notlagen wie Kriegszeiten ändern daran auf Dauer nichts. Das Dorf ist trotz aller „kulturellen“ Versuche ein Schlafplatz für die finanziell zu kurz gekommenen.
    Ohne Dezentralisierung der Wirtschaft und gleichzeitiger Aufwertung ländlicher Lebensformen, letzteres ließe sich verordnen (wie die Integration Ostdeutschlands), die Um- ,besser Reorganisation der Wirtschaft aber bedeutete eine Systemänderung größten Ausmaßes, die alle, die sich nicht bücken mögen, zu verhindern wissen.
    Dennoch freue ich mich über Ihre Initiative und fühle mich Ihnen verbunden, und hoffe Sie wiederzufinden im net.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert